Ist das Leben mit 30 wirklich vorbei?

mann, oh mann. war das ein schlag in den kontor. ich weiß nicht, ob es am wetter lag. oder nur daran, dass zwei generationen aufeinander trafen. da führen auf jeden fall meine freundin, ihre tochter und ich ein gespräch. und dabei sagt die tochter: „ich muss mich mit vielem beeilen. lange herausfordernde fahrradtouren (110 km), das machen eines motorradführerscheines, studium, beziehung, arbeit oder am besten alles auf einmal. ich bin immerhin schon 29. mit 30 ist das alles zu ende.“

ich saß wie versteinert. bloß nicht bewegen. die knochen könnten knacken und die eingetretene stille jäh unterbrechen. was hatte sich das kind dabei wohl gedacht? hat sie dabei an karl marx gedacht, dem man dem spruch: trau keinem über 30 andichtet? oder etwa an faust, teil 2, in dem baccalaureus über die alten spottet:…..hat einer 30 jahr vorüber, so ist er schon so gut wie tot…und wenn er dann noch einen draufsetzt „…am besten wär´s, euch zeitig totzuschlagen…“bekomme ich es langsam mit der angst.

was hat es aber mit dieser alterszäsur auf sich? stimmt sie? ist sie irgendwie belegt? ich entscheide mich spontan für dummheit. die verkürzung dieser aussage auf ein bestimmtes alter ist schlichtweg dumm. schließlich denke und fühle ich oft jugendlicher, als mancher teenager. mich also allein wegen meines alters nicht ernst zu nehmen ist schlichtweg infantile überheblichkeit, unmenschlich, faschistoid und sehr gefährlich. mich allerdings wegen meines alters zu überschätzen ist ebenso dumm.

dabei waren wir alten doch früher die weisen. wir hatten die erfahrungen, die die jungen noch machen mußten. wir hatten kriege und hunger, aufbau und wirtschaftswunder noch live erlebt. wir waren das, was heute die computer übernommen haben: datenspeicherung und jederzeitige verfügbarkeit darüber. dazu braucht es heute keinen alten mit bart am lagerfeuer mehr, der bei fragen immer so allwissend den kopf hin und her schaukelt. google, wikipedia und andere suchmaschinen und datenbanken reagieren gefühllos auf knopfdruck. dabei war unser wissen fürs überleben damals wichtig. die welt änderte sich nur langsam. man war geehrt und wurde geachtet.

in zeiten aber, da statistiken das wissen ablösen, wo pauschalierungen mit „man hat das schon immer so gemacht“ zum neuen dogma werden, da verlieren wissen und denken der alten an wert. im gegenteil. menschlichkeit, fehler machen dürfen und erfahrungen weiter zu geben stellt sich mehr und mehr als bremsklotz des immer schneller drehenden rades des lebens dar.

die zukunft der jugend dagegen ist offen. alles ist noch möglich. mache ich etwas falsch habe ich noch genug zeit, es zu ändern. ich versuche dagegen, keine fehler mehr zu machen. aus meinem erlebten zu handeln. zeit nicht nutzlos verstreichen lassen, sondern sie zu achten und wertzuschätzen.

ich runzele also mehr und mehr im gespräch meine stirn. nicole, denke ich, höre uns alten doch noch hin und wieder mal zu. kritisch. vielleicht ist noch etwas brauchbares darunter. der eine oder andere nützliche hinweis. aber trauen sollst du mir nicht. nicht weil ich schon lange jenseits der 30 bin, sondern weil dein leben von deinen erfahrungen geprägt ist.

und – bald hast du diese grenze auch überschritten. dann gehörst du zu denen, denen du heute nicht traust. keine angst, sie tut nicht weh, diese grenze. du wirst sie vielleicht auch gar nicht spüren. das passiert, wenn du menschen um dich hast, die dich lieben. dann endlich spielt alter keine rolle mehr. ich weiß, wovon ich spreche – vertrau mir ruhig.

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